Jetzt bin ich schon 9 Monate hier in Indien und habe einiges
erlebt und mich an viele Sachen so gewöhnt, dass ich sie mir gar nicht mehr
wegdenken kann! Das heißt aber noch lange nicht, dass mich nichts mehr
überrascht und wundert. Und erst recht nicht, dass ich Indien „kenne“. Denn
dafür ist es –wie ja stets betont wird- zu vielschichtig. Und dass das auch wirklich
so ist, konnte ich in den Sommerferien mal wieder erleben. Zuerst reiste ich
mit drei anderen Freiwilligen drei Wochen Stück für Stück in den Norden bis
nach Delhi. Anschließend besuchte ich zwei der Mitarbeiterinnen auf den
Dörfern, machte mit ihnen einen zweitages-Ausflug zu einer christlichen
Pilgerstätte und nahm am Mitarbeiterausflug nach Kochin im Nachbarbundesstaat
Kerala teil. Um euch einen kleinen
Einblick in die Vielfältigkeit dieser Stationen zu geben, werde ich zu jeder
einen Aspekt kurz beschreiben, der mir am stärksten aufgefallen ist oder der
mich besonders beeindruckt und beschäftigt hat. Was natürlich nicht heißt, dass
diese Stadt nur das zu bieten hätte oder
es dies nur dort gibt.
Yelagiri: Natur und Entspannung
Ja, auch das gibt es in Indien.
Yelagiri ist eine Dorf in den Bergen zwischen Chennai und Tamil Nadu. Mit dem
Bus fährt man vom Tal aus ungefähr eine Stunde enge Serpentinen den Berg hinauf
und hat dabei einen wunderbaren Ausblick auf das Tal, denn oft geht es gefühlte
fünf Zentimeter neben dem Bus senkrecht in den Abgrund. Oben angekommen
erwartet einen ein kleines Dorf mit ein paar Läden. Fährt man mit der
Autorikscha nochmals 20 Minuten weiter, kommt ein noch kleineres Dorf und das
YMCA-Gelände. Dort entspannten wir ein paar Tage, wanderten durch die
traumhafte, bergige Landschaft, besichtigten eine Seidenfarm, spielten Monopoly
im Schatten der Bäume und machten abends Lagerfeuer und Stockbrot. Also genau
das Richtige, um erst einmal durchzuatmen; denn so entspannt blieb es nicht.
Futterplantage der Seidenfarm |
Monopolyspielen im Schatten |
Mumbai: Die Reichen und Schönen
Einer meiner Mitfreiwilligen war
in Mumbai auf eine Hochzeit eingeladen und durfte uns alle mitnehmen. Ich war
mittlerweile schon auf unzähligen Hochzeiten hier in Tamil Nadu, welche aber
keinesfalls mit dieser Hochzeit zu
vergleichen sind. Obwohl wir nur auf dem Letzen Teil der Feier waren. Was bei
der so genannten „Wedding-Reception“, bei der noch einmal alle kommen und
gratulieren können, geboten wurde, war einfach unglaublich. Der ganze Saal war
edel geschmückt mit Kerzen, Lichterketten und frischen Jasminblütenketten.
Schon bevor es losging, wurden Häppchen serviert: von zartem Fischfilet zu
„Honey-Chili-Potatoes“. Im Anschluss an das
kurze Programm, wurde das Buffet eröffnet, das man gar nicht Überblicken
konnte. Von indischem bis zu italienischem Essen war einiges geboten. Nudeln
und Suppen wurden auf Wunsch mit den gewünschten Beilagen angebraten
beziehungsweise gemischt. Auch das Nachtischbuffet war voll beladen mit
verschiedenen Kuchen, Obstsalat und Brownies.
Der krasseste Gegensatz zu den
Hochzeiten, die ich davor miterlebt hatte war allerdings, dass nach dem Essen
Alkohol ausgeschenkt wurde. Das würde bei mir hier in Tamil Nadu überhaupt
nicht gehen. Trinken ist hier total verpönt, ich denke, weil es sehr viele
Probleme mit Alkoholikern gibt. In Mumbai (und auch anderen Orten in Indien)
sieht das aber anders aus.
Alles in allem hat die Hochzeit
zwischen sieben und acht Millionen Rupien, also ungefähr 90 000 – 100 000 Euro
gekostet! Allein der „Half-Sari“ (also ein Kleidungstück, das an einen Sari
erinnert, allerdings nur aus Rock, Bluse und einem Tuch besteht und nicht aus 6
Metern Stoff), den die Braut nur zur Wedding-Reception an hatte, hat ungefähr 1 000 € gekostet. Und das war
nicht der offizielle Hochzeitssari.
Wir mit der Schwester der Braut |
Udaipur: Traditionelle Kunst
Ein Palast voller Miniaturmalereien,
kunstvolle Kuppeldenkmäler, kunterbunte Tanzvorstellungen und ein Museumsdorf,
indem die Künste und auch die Bauweisen der Häuser aus verschiedenen Teilen
Indiens zur Schau gestellt werden – an der Tradition von Rajasthan, dem
Bundesstaat in dem Udaipur liegt, kommt man bei einem Besuch der Stadt nicht
vorbei. In jedem Laden werden vereinfachte Exemplare der Miniaturmalereien
angeboten. Für die „echten“ Kunstwerke, die
circa ab dem 17. Jahrhundert aufkamen, wurde uns extra eine Lupe
gegeben. Und ich war echt erstaunt, was man da alles entdecken kann: von
einzelnen Barthaaren zu feinen Mustern auf den Kleidern. Denn wie der Name schon sagt, sind diese
Zeichnungen sehr klein, aber dennoch unglaublich detailliert.
Um den Besuchern die Künste näher zu
bringen legt sich Udaipur mächtig ins Zeug: Jeden Abend werden
Tanzvorstellungen aufgeführt, die durch die verschiedenen Tänze der Gegend
führen. Obwohl die Tänze an sich sehr verschieden sind, haben sie eines
gemeinsam: Die Kleider der Tänzer sind farbenfroh, die Tänze energiegeladen und
zogen uns alle komplett in ihren Bann!
Tanz mit Feuer auf dem Kopf |
Auch im Museumsdorf Shilpgram werden
regelmäßig regionale Tänze aufgeführt, daneben können die Bauweise der Häuser
aus verschiedenen Gegenden betrachtet werden und zur Hauptsaison gibt es
Workshops, die einem all das nochmals näher bringen. Da wir allerdings zur Nebensaison
unterwegs waren, war im Dorf sehr wenig los.
Privatvorführung in Shilpgram |
Modelhäuser in Shilpgram |
Jaipur: Festungen
Rund um Jaipur liegen einige Festungen in
den Hängen. Die berühmteste ist das „Amer Fort“, das in seinem jetzigen Zustand
1592 erbaut wurde und auch „Amber Palace“ genannt wird, da eine der königlichen
Familien darin gewohnt hat. Dafür ist das Fort auch bestens geeignet:
Zahlreiche Gemächer, ein eigener Tempel, ein großer Platz um Paraden zu üben,
ein Innenhof zum Entspannen, ein See, von dem aus das Wasser über verschiedene
Mechanismen in den Palast befördert wird,
große Bäder, Geheimgänge, unteranderem zur nahegelegenen Festung,…; es
ist alles da und noch immer in sehr gutem Zustand. Und so verwinkelt und groß,
dass wir einen kompletten Tag hier verbrachten.
Blick auf das Amber Fort von oben |
Blick auf das Amer Fort von unten |
Wasserschöpfmechanismus belagert von Fledermäusen |
Das nahegelegene Tigerfort |
Delhi: Märkte
Wir biegen in die Straße ein, in der der
Gewürzmarkt liegen soll und fangen alle an zu Husten: ja, wir sind ohne Zweifel
richtig! Die Luft ist geschwängert von unzähligen Gerüchen, es beißt im Hals
und man muss ständig niesen. Denn hier wird natürlich nicht nur mit Salz und
Pfeffer gekocht.
Märkte und wuselige Gassen, in denen man
einfach alles bekommt, gibt es in jeder Stadt in der ich bisher war und es ist
einfach toll, sich durch zu drängen (meistens ist echt viel los!) und um Preise
zu feilschen. Auch wenn wir das erst einmal üben mussten und es manchmal echt
anstrengend und nervig ist, weil man ständig das Gefühl hat übers Ohr gehauen
zu werden und wahrscheinlich schon zu misstrauisch ist. Trotzdem ist es jedes
Mal ein Erlebnis und wird nicht langweilig. Glänzende Stoffe, glitzernder Schmuck, saftigstes Obst oder
auch alles rund ums Reparieren: Jeder wird hier fündig!
Mandapasalai: Dorfleben in Tamil Nadu
Von Delhi ins Dorf nach Tamil Nadu ist ein
ganz schön krasser Wechsel. Zum Glück hatte ich zwischendurch ein paar Tage bei
mir im Elwin Centre um mich etwas zu akklimatisieren. In Mandapasalai kennt man
sich, es gibt keine unzähligen verwinkelten Straßen mit einem Laden am anderen
mehr. An der Hauptstraße sind zwei Läden, jeweils nicht größer als eine
Abstellkammer. Man kocht aber eben das Gemüse, das da ist. Und regelmäßig
dürfen sich die Kinder für zehn Rupien etwas zu Naschen kaufen.
Das Haus, in dem meine Köchin Selvamary mit
ihren Eltern lebt, hat zwei kleine Räume und einen winzigen Raum mit einer
Wanne für Wasser. Fließendes Wasser und eine Toilette gibt es aber nicht. Das führte
dazu, dass ich an einem Morgen um viertel nach sechs zu einem der Nachbarn mit
einer Toilette gebracht wurde – und dort eine Stunde lang saß, Tee trank und
mich mit dem Nachbarn unterhielt. Zwischendurch kamen auch noch andere Leute zu
Besuch. Das ist hier einfach alles unkomplizierter.
Geschlafen haben wir, obwohl in dem Haus
zwei Betten stehen, alle auf dem Dach – dort ist es in der Nacht einfach am
kühlsten und am besten auszuhalten.
Einer der Räume |
Selvamary beim Kochen |
Familienbild vor dem Haus |
Auch wenn ich schon ganz schön braun
geworden bin, falle ich natürlich immer noch in den meisten Gegenden in
Tamil Nadu und besonders im Dorf als
„die Weiße“ sofort auf. Ganz besonders, als ich mich wie alle anderen verhalten
wollte und mit zum Wasser holen ging. Alle konnten es nicht glauben, dass ich
diesen Wasserbehälter wirklich tragen kann. Ich wollte aber auf keinen Fall nur
neben den anderen herlaufen, stemmte mir den Kübel wie alle anderen in die
Hüfte – und versuchte mein Lächeln zu behalten während ich mit Selvamary (die
einen Kübel auf dem Kopf und einen auf der Hüfte trug) zurück nach Hause lief.
Noch am nächsten Tag schmerzte die Stelle, an der der Behälter in die Seite
gedrückt hat. Aber aufgeben ging selbstverständlich nicht!
Kamuthi: Mittelstand auf dem Dorf
Kamuthi: Mittelstand auf dem Dorf
Selvamary und ich fuhren zusammen nach
Kamuthi, da ist Rechal, eine der Mitarbeiterinnen, zu Hause. Rechals Familie
selbst bezeichnet sich als „Middle Class“. Aus westlicher Sicht würde man beim
Anblick dieses Hauses wohl nie darauf kommen, dass hier eine
Mittelstandsfamilie wohnt. Aber das liegt nur daran, dass wir eben andere Vorstellungen
und Gewohnheiten haben. Eine Großfamilie wohnt in drei relativ kleinen Zimmern,
die allerdings sehr stark voneinander abgetrennt sind: Rechal mit ihren Eltern
und Rechals zwei ältere Brüder, jeweils mit ihrer Frau und zwei Kindern. Der Großteil des Lebens spielt sich im Garten
ab, in dem Schaukeln aus Saris an wunderbaren Kletterbäumen hängen und Paletten
aufgestapelt sind, um darauf zu sitzen und auch zu schlafen.
Rechals Vater führt einen dieser kleinen
Abstellkammerläden, weshalb ständig Leute in den Garten kommen und nach ihm
rufen. Aber nicht nur Kunden, auch viele Freunde kommen regelmäßig vorbei. Und
die Kinder schwirren sowieso überall herum.
Die Sari- Schaukel |
Die Toilette ist etwas Abseits versteckt |
Ein Raum in Rechals Haus |
Velankanni: Vermischung der Religionen
Religion ist hier nicht so sehr Privatsache
wie bei den meisten von uns in Europa. Die Religion spielt in vielen
Alltagsbereichen eine große Rolle, man erkennt meist schon beim ersten Blick,
ob die Person mit der man zu tun hat nun Hindu, Christ, Moslem oder Sikh ist
und wenn man über eine Stadt blickt, sieht man Tempel, Kirchen und Moscheen
friedlich nebeneinander. Schon öfters hatte ich von Hindus gehört, die gerne in
Kirchen gehen, besonders gerne in Kirchen für Maria. Auch ich wurde als Christ
in Tempeln, die ich besichtigt habe, begrüßt und eingeladen, hier „zu beten, an
wen auch immer ich glaube“. Deswegen war ich auch nicht überrascht, als ich in
Velankanni, einem Ort, dessen Mittelpunkt fünf Kirchen bilden, die in Kreuzform
angelegt sind, Hindus mit Opfergaben in die Kirchen gehen sah. Schon etwas mehr verwundert hat mich da, als
wir mit Jerrin, dem jüngsten Sohn von Selvamarys Tochter, zum Haare opfern
gingen. Ich kannte dieses Ritual bis dahin nur als hinduistisches Ritual, denn
immer wieder kommen Kinder nach den Ferien mit kahl geschorenen Köpfen zurück:
die Haare wurden in einem Tempel abgeschnitten und geopfert.
Auch in Velankanni ist es üblich, dass man
beim ersten Besuch seine Haare da lässt. Dafür gibt es extra eine große Halle,
in der Seite an Seite die „Friseure“ sitzen und einem für 10 Rupien die Haare
abrasieren. Jerrin war das zwar nicht ganz so recht, ihm wurde aber von allen
Seiten gut zu geredet und hielt tapfer durch.
Alle reden Jerrin gut zu |
Die Halle |
Anschließend werden die restlichen
Haare im nahegelegenen Meer abgespült, der Kopf mit Sandelholzpaste
eingerieben, Blumen, Kerzen und in unserem Fall etwas Silber zum Opfern gekauft
und dann geht’s in die Kirche zum Beten und das Opfer abzugeben.
Eine der Kirchen |
Gruppenbild vor der Kirche |
Auch wenn ich zuerst etwas überrascht war:
Es ist auch selbstverständlich und wohl überall so, dass Religionen in den
verschiedenen Ländern Rituale voneinander übernehmen. Diese gehören schließlich
zur Kultur.
Ich war nur sehr froh, dass mich niemand
gefragt hat, ob ich auch will! ;)
Kochin: Dorf trifft Großstadt
Zum Abschluss meiner Sommerferien trafen zwei
der verschiedenen Welten aus Indien zusammen: Fast alle Mitarbeiter fuhren
zusammen nach Kochi. Einer der Programmpunkte dort: Eine von Indiens größten
Shopping-Malls! Obwohl wir schon um halb zehn dort waren und die meisten Läden
erst um zehn auf machten, war das für die meisten sehr beeindruckend. Die
vielen Läden, der glänzende Boden, die Rolltreppen (vor denen es Stau gab, weil
sich nicht alle sofort trauten, darauf zu treten), die Handtuchspendern in der
Toilette, der riesige Supermarkt mit den unzähligen (aber wie sie betonten
überteuerten) Produkten und die großen Schaufenster. Natürlich wurde vor allem
posiert und fotografiert.
Shooting vor einem der Schaufenster |
Und mir wurde mal wieder klar, dass es schon lustig
sein muss, was ich hier in Indien so fotografiere!
Jetzt sind wieder fast alle der Kinder da und der Teil
Indiens, den ich am besten kenne ist zurück: der Schulalltag im Elwin Centre. Obwohl
es sehr viel Spaß gemacht hat und unwahrscheinlich spannend war, mehr von
Indien zu entdecken, bin ich froh über diesen Alltag. Denn nur hier werde ich
jeden Tag unzählige Male in den Arm genommen und gerufen, zu trösten, Streit zu
schlichten oder auch nur um mir etwas zu zeigen. Und das muss ich jetzt noch
ausgiebig genießen, solange es noch geht!